Was ist ein "Schreibaby" ?

Offiziell wird ein Baby als Schreibaby bezeichnet, wenn es an mindestens drei Tagen in der Woche drei Stunden schreit und das über einen Zeitraum von mindestens drei Wochen hinweg. Ungefähr jedes fünfte Baby ist ein solches Schreibaby.

 

Von einer ausgeprägten Schreisymptomatik kann jedoch bereits dann gesprochen werden, wenn das Kind trotz der üblichen Beruhigungsversuche ( Tragen, Wickeln, Stillen, Vorsingen etc. ) untröstlich weiter schreit, die Eltern unter der Situation leiden und sich hilflos und überfordert fühlen - unabhängig von der Anzahl der Stunden und Tage, an denen das Schreien auftritt.

 

 

Warum schreien Babys ?

Babys schreien, weil sie Hunger haben, sie Nähe und Geborgenheit suchen, weil sie müde sind und nicht in den Schlaf finden, weil ihnen zu kalt oder zu warm ist, sie sich von Reizen überflutet fühlen, sie Schmerzen haben, ihnen langweilig ist oder sie sich aus einem anderen Grund unwohl fühlen und sie sich Hilfe und Trost wünschen.

 

Das Schreien eines Babys ist biologisch so beschaffen, dass es eigentlich nicht ignoriert werden kann und das ist prinzipiell gut so. Denn Schreien ist die einzige Möglichkeit für das Baby, Hilfe herbeizuholen und sein Überleben zu sichern. Das Menschenkind ist zum Zeitpunkt seiner Geburt alleine nicht überlebensfähig. Es ist sozusagen eine "physiologische Frühgeburt" und ist wie kein anderes Lebewesen auf die wohlwollende und adäquate Fürsorge und die Liebe seiner frühen Bezugspersonen, meist der Mutter, angewiesen. Babys müssen demnach schreien, weil sie sonst noch keine Möglichkeit haben, ihre Bedürfnisse und ihr Unwohlsein mitzuteilen. Es ist ihre ganz eigene Form der Kommunikation, die es von den Eltern im Laufe des ersten Kennenlernens in den Tagen und Wochen nach der Geburt zu entschlüsseln gilt.

 

Es gibt allerdings Säuglinge, die scheinbar intensiver schreien und schwerer zu beruhigen sind als andere. Dies kann unterschiedliche Ursachen haben. Neben den häufig genannten Dreimonatskoliken, die Ursache wie auch Folge der Unruhe sein können, können traumatische und schreckhafte Erlebnisse während Schwangerschaft und Geburt das exzessive Schreien bedingen. So kann beispielsweise Sauerstoffmangel während der Geburt vom Säugling als Schock erlebt und später über das Schreien verarbeitet werden. Frühe Trennungen von Mutter und Kind, körperliche und seelische Erschöpfung nach einer anstrengenden Geburt oder in einem wenig Halt gewährenden Umfeld können den Kontaktaufbau zwischen Mutter und Kind ebenso belasten wie unverarbeitete negative Beziehungserfahrungen mit den eigenen Eltern. Die notwendige feinfühlige Einschätzung der Signale des Kindes kann dadurch eingeschränkt sein und das Trösten des Babys wird erschwert. Darüber hinaus reagieren manche Säuglinge von Geburt an sensibler auf äußere Reize und tun sich dementsprechend schwerer mit der Anpassung an die Welt außerhalb der geschützten Hülle des Mutterleibes. Ihre Verwirrung, Angst und ihr Unwohlsein tun sie durch das Weinen kund.

 

Wie wirkt sich das Schreien auf Mutter und Kind aus ?

Der Stress, der von einem schreienden Baby ausgeht, wirkt sich auf unseren gesamten Organismus aus. Der Körper schüttet vermehrt Adrenalin aus und wir befinden uns in einer Art Alarmzustand. Erhöhte Herzfrequenz, flacher Atem, beschleunigter Puls, Angst und angespannte Wachsamkeit sind die Folge. Nicht selten kommt es bei der Mutter neben der körperlichen Erregung und der gleichzeitigen Erschöpfung zu Gefühlen der Unzulänglichkeit und des Versagens. Sie fühlt sich von ihrem Kind angeschrieen, angeklagt, eine schlechte Mutter zu sein und abgelehnt. Es kommt zu Traurigkeit, Wut und innerem Rückzug. Schreit das Baby trotz ausdauernder und liebevoller Beruhigungsversuche untröstlich weiter, verstärkt sich der Stress für Mutter und Kind, denn auch das Kind selbst ist seinem eigenen Schreien ausgeliefert. Es ist in einem solchen Zustand der Übererregung nicht mehr zur Kontaktaufnahme fähig, sondern krümmt sich während des Schreiens häufig von der Mutter weg, wendet den Kopf ab und vermeidet den Blickkontakt. Hilflosigkeit, Verzweiflung, aber auch Wut, körperliche Erregung und Anspannung auf beiden Seiten können sich in einer Negativ-Spirale nach oben schrauben. Nicht selten kommt es in solchen Fällen zu aggressiven Handlungen, wie beispielsweise Schütteln des Kindes, die für den Säugling sehr gefährlich sein können und bei der Mutter meist extreme Reue- und Schuldgefühle nach sich ziehen. 

 

Darüber hinaus kann durch den Stress, der von einem scheinbar unentwegt schreienden Säugling ausgeht, auch die Partnerschaft in Mitleidenschaft gezogen werden. Nicht erfüllte Erwartungen und gegenseitige Vorwürfe treten an die Stelle von gegenseitigem Verständnis und Unterstützung und erhöhen die Anspannung auf Seiten von Eltern und Kind. Die Geborgenheit und der innere wie äußere Halt, die erforderlich sind, um ein weinendes Baby zu trösten, können durch die Unstimmigkeiten in der Partnerschaft noch weiter beeinträchtigt werden.

 

 

Was kann therapeutische Unterstützung bewirken ?

Psychotherapeutische Hilfe, meist in Form einer stützenden Krisenintervention, kann Ihnen helfen, neue Kraft zu schöpfen, zu Ruhe und Entspannung zu kommen und Ihren inneren Halt wiederzuerlangen. Viele Mütter von sehr unruhigen Babys geraten in eine regelrechte Odyssee an gut gemeinten, häufig jedoch sehr widersprüchlichen Ratschlägen von Freunden, Verwandten und Bekannten, ohne aus dem Teufelskreis des Schreiens, der Hilflosigkeit, Wut, Anspannung und Erregung herauszukommen. Die ohnehin vorhandene Verunsicherung und Gefühle der Unzulänglichkeit steigen häufig noch weiter an. Die Krisenintervention kann sie dabei unterstützen, Ihre mütterliche Intuition wiederzufinden und das Vertrauen zurückzugewinnen, dieser folgen zu können. Sie als Mutter kennen Ihr Kind am besten und können es am sichersten trösten, auch wenn Ihnen diese Fähigkeit momentan nicht immer in ausreichendem Maße zugänglich erscheint. Diesen Zugang zu ermöglichen, den positiven Kontakt, die Bindung zwischen Ihnen und Ihrem Kind zu stärken, ist ein wichtiges Ziel der Krisenintervention.

 

In den therapeutischen Sitzungen werden wir uns gemeinsam anschauen, wie es Ihnen geht, wie es Ihrem Kind geht, wie die Spannungszustände aussehen, wann die Schreiphasen am intensivsten sind und wie sie abgebaut werden können. Wir schauen uns an, wie und wo Sie im Alltag Unterstützung erfahren und was Sie für sich tun können, damit Sie sich wohler fühlen. Gibt es unverarbeitete traumatische Erfahrungen, wie schwierige Schwangerschafts- oder Geburtsverläufe, frühe Trennungen von Mutter und Kind oder Erfahrungen aus der eigenen Kindheit, die das Schreien des Babys mitbedingen, können sie im schützenden Rahmen der therapeutischen Beziehung zumindest so weit aufgearbeitet werden, dass sie die Beziehung zum Kind nicht mehr so stark belasten. 

 

Die Behandlung erfolgt dabei über entlastende und klärende Gespräche. Für eine gestresste und verzweifelte Mutter eines exzessiv schreienden Babys kann es bereits befreiend und hilfreich sein, einmal über die immens belastende Situation, ihre Gedanken und Gefühle, insbesondere die negativen, offen reden zu können oder sich derer erst bewusst zu werden. Können Sie sich und Ihre Bedürfnisse wieder wahrnehmen, sind Sie wieder mehr im Kontakt mit sich selbst, verbessert sich dadurch meist auch der Kontakt zu Ihrem Kind. Wenn Sie sich selbst sicherer und geborgener fühlen, wird es Ihnen leichter fallen, Ihrem Baby Halt, Geborgenheit und Trost zu vermitteln. Gehen die Schreiattacken zurück und gelingt es Ihnen immer häufiger Ihr Baby zu beruhigen, werden Sie ein großes Stück Selbstvertrauen und verloren gegangene Freude im Umgang mit Ihrem Kind zurückgewinnen.